Wenn Angaangaqs Qilaut ertönt,
fängt mein Herz zu singen an!

Prolog Island
Heute Nacht hat Angaangaq mich im Traum besucht.
„Hab keine Angst“, sagte er. Mehr nicht!
Dann tanzte er mit seiner Qilaut leise im Hintergrund,
bis alle Urängste nach und nach ihre Schrecken verloren.

 

Tag der Stille
„Juuk, juuk, juuk! Hiie, hiie, hiie!”
Das kräftige Mantra der Musher wird immer und ewig in mir nachhallen.
Ansonsten Stille, Weite, weiße Sehnsucht.

Die Reise hat begonnen, das Ziel bin ich.

Werde ich jemals ankommen?
Nur nicht verkrampfen. Locker bleiben.
Leichter gedacht als getan.

Der Schlitten unter mir tanzt wie ein wilder Bock.
Erst als ich versuche in seinem Rhythmus mitzuschwingen,
entspanne ich…

Mein Herz wird langsam leichter!
Nacht des Windes
Die eisige Polarnacht legt sich über dem Fjord schlafen.
Der Wind rüttelt heftig am Zelt.
Seine Melodie macht meine Augen schön schwer.
Die Schlittenhunde singen das hohe Lied der Freiheit.
Die Hymne ihrer wilden Vorfahren, der Wölfe.

Du weißt, bereits heute, nach diesem einen Tag der Stille,
Weite und Sehnsucht, dass Du nicht mehr derselbe bist.

Und fährst morgen damit fort…

 

Tag des Eises
Ich fahre.
Ich schwebe.
Ein Traum von einer Reise.
Kristallblaue Eisdiamanten ziehen an mir vorbei.

Zum Heulen schön!

Wie ein kleines Kind staune ich
angesichts der Schönheit und Schätze dieses geheimnisvollen Landes.

Ich schäme mich meiner Gefühle nicht.

Ich nähere mich an.

 

Nacht des Eisbären
Angaangaq verbindet uns mit Mutter Natur.
Er hält eine Zeremonie.
Wir bedanken uns beim mächtigsten Raubtier der Welt.
Morgen dürfen wir eintreten ins Land der Eisbären.

In dieser Nacht liegt unser Lager zu Füßen eines großen Berges.

Er beschützt uns. Ich schlafe auf der ältesten Scholle der Welt.
Mutter Natur empfängt mich mit offenen Armen.
Wie ein Baby liege ich in ihrem Schoß,
sie nimmt mich auf ohne Klagen und Fragen.

Getragen von der Hundehymne reise ich tief ins Innere der Erde.

Kann man mit 46 ein bewussteres Leben anfangen?

Ich werde!

 

Tag der Sonne
Der dunkle Berg ist jetzt von Gold umgeben.
Nach und nach schlüpft eine gesamte Bergkette aus dem Nebel.

Mein Herz leuchtet.

Angaangaq umarmt mich.

Er ist immer bei mir, bei uns allen.
„Siehst Du diesen schönen Gipfel?
Spürst Du, wie hoch und mächtig er ist?
Und dennoch werden wir ihn hinter uns lassen!“

Tatsächlich habe ich nur den bereits in Sonne gehüllten,
aber nicht den aus dem Nebel auftauchenden Berg gesehen.

Wieder einmal öffnet er mir die Augen nach innen.

 

Nacht der Sterne
Auf einer Reise mit einem Schamanen musst Du mit allem rechnen.
Der Himmel öffnet sich, ein grandioses Schauspiel beginnt.

Zunächst der Mond,
dann ein Stern,
dann werden die Wolken weggezogen wie ein Vorhang.

Polarlicht!

Die Eskimos sagen, die Polarlichter sind unsere Ahnen und tanzen für uns.
Ich schließe die Augen und Frieden mit meinen Vorfahren.

 

Tag der Hunde
Tag vier auf dem Hundeschlitten.
Die Hunde sind eine Urgewalt für sich.
Sie ziehen uns über Eis, Tiefschnee, Felsen.

Man bekommt ein Gefühl dafür,
wie sehr das Leben von diesen harten Vierbeinern abhängt.

Ich reise durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich.

Die Zeit löst sich auf inWind, Schnee und ewiges Eis.
Meine Hand streift den Boden.
Ich fühle mich als Teil des großen Ganzen.
Ein gutes Gefühl.

Der Kopf ist angenehm klar, das Herz schwebend leicht.
Ich könnte immer so weiterfahren.
Vor uns taucht das warme Licht von Ittoqqortoormiit auf.
Ich freue mich auf eine heiße Dusche.

Doch vorher hat der liebe Gott noch eine felsige Bergpassage
und einen Schneesturm gesetzt.

Das Ziel vor den tränenden Augen
kämpft unser Musher bis zum Umfallen.

Ich helfe so gut ich kann. Mann und Hund sind am Ende.

Wir besiegen das Felsplateau und alle Zweifel.
Der Sturm legt sich wie von Zauberhand
und packt die Nacht in weiße Watte und wohltuende Windstille.

Wir sind da.

Ich bin ganz bei mir.

Ich bin frei!

 

Epilog
Als mich Angaangaq zwischen seine Qilaut nimmt,
den großen Kosmos, geschieht etwas Wunderbares:

Er befreit mein Herz,
reinigt meinen Verstand
und heilt meinen Körper.

Er ist ein Naturereignis:
stark wie einWal,
freundlich wie eine Robbe,
großherzig wie ein guter Onkel.

Danke Angaangaq!

Das Eis in meinem Herzen ist geschmolzen.

Text und Foto: Bernd Arnhold, 2012